Verfahrensinformation

Die Klägerin ist die Ehefrau des Beigeladenen zu 2. Beide sind Staatsangehörige der Arabischen Republik Syrien. Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihr ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu erteilen.


Die Klägerin und der Beigeladene zu 2. reisten eigenen Angaben zufolge in den Jahren 2014 beziehungsweise 2013 aus der Arabischen Republik Syrien in die Libanesische Republik ein. Im August 2019 schlossen sie in Syrien einen Ehevertrag. Die Ehe wurde im Dezember 2020 amtlich bekräftigt und in das syrische Eheregister eingetragen.


Der Beigeladene zu 2. verließ den Libanon im August 2020 und reiste Ende November 2020 in das Bundesgebiet ein. Im Februar 2021 erkannte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den subsidiären Schutzstatus zu. Er ist im Besitz einer hieran anknüpfenden Aufenthaltserlaubnis.


Im August 2021 beantragte die Klägerin bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Beirut die Erteilung eines Visums zum Zwecke des Ehegattennachzuges. Nachdem die Ausländerbehörde des Beigeladenen zu 1. ihre Zustimmung zur Erteilung des Visums versagt hatte, lehnte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Beirut die Erteilung des beantragten Visums im Februar 2022 wegen der Erfüllung des Regelausschlussgrundes des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ab, dem zufolge die Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis in der Regel ausgeschlossen ist, wenn die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde.


Mit dem angegriffenen Urteil vom 28. August 2023 hat das Verwaltungsgericht der hierauf erhobenen Klage stattgegeben. Sofern die eheliche Lebensgemeinschaft nicht in einem Drittstaat hergestellt werden könne, sei eine mehr als drei Jahre währende Trennung unzumutbar, wenn der im Bundesgebiet lebende subsidiär schutzberechtigte Ehegatte den Lebensunterhalt der Familie sichere und ausreichenden Wohnraum vorhalte.


Das Bundesverwaltungsgericht wird im Rahmen der durch das Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision zu klären haben, ob die Lebensunterhaltssicherung und das Vorhalten von Wohnraum als Aspekte der Integration des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen der Feststellung einer Ausnahme von dem Regelausschlussgrund des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.


Pressemitteilung Nr. 50/2024 vom 24.10.2024

Keine Verkürzung der Trennungszeit beim Ehegattennachzug durch Sicherung von Lebensunterhalt und Vorhalten von Wohnraum

Die Sicherung des Lebensunterhalts und das Vorhalten von Wohnraum rechtfertigen keine Verkürzung der Trennungszeit, die ein subsidiär Schutzberechtigter und sein Ehegatte, deren Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde, bis zu dessen Nachzug zum Zwecke der Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet hinnehmen müssen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerin und ihr Ehemann sind syrische Staatsangehörige. Sie reisten eigenen Angaben zufolge in den Jahren 2014 bzw. 2013 aus Syrien in den Libanon ein. Im August 2019 schlossen sie während eines Kurzaufenthalts in Syrien die Ehe. Der Ehemann suchte im Dezember 2020 im Bundesgebiet um Asyl nach. Im Februar 2021 erkannte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den subsidiären Schutzstatus zu. Nach der Absolvierung eines Integrationskurses trat er im Februar 2023 in ein unbefristetes und ungekündigtes Vollzeitarbeitsverhältnis ein. Im Juli 2023 begründete er zusätzlich ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis. Er ist im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis und bewohnt eine Wohnung mit einer Größe von etwa 50 m.


Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Beirut lehnte die Erteilung des von der Klägerin beantragten Visums auf der Grundlage von § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ab. Der hiergegen erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil stattgegeben. Eine Ausnahme von dem für den Fall einer nicht bereits vor der Flucht erfolgten Eheschließung vorgesehenen Regelausschlussgrund sei anzunehmen, wenn die Ehegatten seit mehr als drei Jahren räumlich voneinander getrennt lebten, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht in einem Drittstaat wiederhergestellt werden könne, der im Bundesgebiet lebende subsidiär Schutzberechtigte den Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen vermöge und ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehe.


Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat der gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegten Sprungrevision der Beklagten stattgegeben.


Die Erteilung eines Visums zum Zwecke des Ehegattennachzuges zum subsidiär Schutzberechtigten scheidet gemäß § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG in der Regel aus, wenn die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen einer Ausnahme von diesem Regelausschlussgrund mit einer Begründung bejaht, die Bundesrecht verletzt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Ausnahme von dem Regelausschlussgrund für den Fall, dass die (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des nachzugswilligen Ehegatten - wie hier - auf unabsehbare Zeit ausscheidet, regelmäßig bei einer mehr als vier Jahre andauernden Trennung der Ehegatten anzunehmen. Dieser Ausgleich der Interessen ist unter den Vorbehalt besonderer Umstände des Einzelfalles gestellt. Wegen der Bedeutung der einem Familiennachzug widerstreitenden Interessen der Bundesrepublik Deutschland müssen solche atypischen Umstände des Einzelfalles geeignet sein, dem Regelausschlussgrund einer nach der Flucht geschlossenen Ehe schon vor dem Ablauf der genannten Fristen ausnahmsweise kein ausschlaggebendes Gewicht beizumessen. Von einer derartigen Atypik kann indes weder im Falle der Sicherstellung des Lebensunterhalts der Bedarfsgemeinschaft noch im Falle des Vorhaltens ausreichenden Wohnraums ausgegangen werden. Allein derartige migrationstypische Sachverhalte vermögen besondere Umstände des Einzelfalles im vorstehenden Sinne nicht zu begründen, zumal der Gesetzgeber ihre Berücksichtigung allein im Rahmen von § 36a Abs. 2 Satz 4 AufenthG vorgesehen hat.


Mangels hinreichender Feststellungen zu etwaigen anderen hier berücksichtigungsfähigen Besonderheiten hat der Senat das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.


BVerwG 1 C 17.23 - Urteil vom 24. Oktober 2024

Vorinstanz:

VG Berlin, VG 8 K 81/22 V - Urteil vom 28. August 2023 -


Urteil vom 24.10.2024 -
BVerwG 1 C 17.23ECLI:DE:BVerwG:2024:241024U1C17.23.0

Keine Verkürzung der den Eheleuten zuzumutenden Trennungszeiten durch Sicherung des Lebensunterhalts und Vorhalten von Wohnraum

Leitsätze:

1. Besondere Umstände des Einzelfalles, die eine Verkürzung der von den Eheleuten nach § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG hinzunehmenden Trennungszeiten gebieten, müssen spezifisch ehe- oder familienbezogen und von einem Gewicht oder einer Atypik sein, welche den Regelausschluss schon vor Ablauf der den Eheleuten zuzumutenden Trennungszeit zurücktreten lässt.

2. Die Sicherung des Lebensunterhalts der und das Vorhalten von Wohnraum für die Bedarfsgemeinschaft durch den subsidiär Schutzberechtigten zählen nicht zu diesen besonderen Umständen des Einzelfalles.

  • Rechtsquellen
    AufenthG § 36a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1

  • VG Berlin - 28.08.2023 - AZ: 8 K 81/22 V

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 24.10.2024 - 1 C 17.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:241024U1C17.23.0]

Urteil

BVerwG 1 C 17.23

  • VG Berlin - 28.08.2023 - AZ: 8 K 81/22 V

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß, Dollinger und
Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. August 2023 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Visums zum Zwecke des Nachzugs zu ihrem subsidiär schutzberechtigten Ehemann.

2 Die Klägerin und ihr Ehemann, der Beigeladene zu 2., sind syrische Staatsangehörige. Eigenen Angaben zufolge reisten sie in den Jahren 2014 beziehungsweise 2013 aus Syrien in den Libanon ein. Im August 2019 schlossen sie während eines Kurzaufenthalts in Syrien die Ehe, die in der Folge amtlich bekräftigt und in das syrische Eheregister eingetragen wurde.

3 Der Beigeladene zu 2. verließ den Libanon im August 2020 und reiste Ende November 2020 in das Bundesgebiet ein. Am 3. Dezember 2020 suchte er um Asyl nach. Im Februar 2021 erkannte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den subsidiären Schutzstatus zu. In der Folge erteilte der Beigeladene zu 1. ihm eine Aufenthaltserlaubnis. Er absolvierte mit Erfolg einen Integrationskurs und erwarb ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache. Seit dem Jahr 2023 befindet er sich in einem unbefristeten und ungekündigten Vollzeitarbeitsverhältnis und zusätzlich in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis. Er bewohnt eine Wohnung mit einer Größe von etwa 50 m2.

4 Im August 2021 beantragte die Klägerin bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Beirut die Erteilung eines Visums zum Zwecke des Ehegattennachzugs. Nachdem der Beigeladene zu 1. seine Zustimmung zur Erteilung des Visums versagt hatte, lehnte die Botschaft dessen Erteilung im Februar 2022 ab, weil die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen worden sei (§ 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG).

5 Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verpflichten, sie an der Auswahlentscheidung nach § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu beteiligen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, ihre Ehe sei "auf dem Weg der Flucht" geschlossen worden. Jedenfalls liege ein atypischer Fall im Sinne des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG vor. Sie sei Opfer eines verheerenden Erdbebens geworden und lebe zwischenzeitlich in einem Lager für durch das Erdbeben geschädigte Menschen im syrischen Manbidsch. Ausweislich zweier Atteste leide sie an einer bipolaren und hormonellen Störung. Die Krankheit führe unter anderem gelegentlich zu plötzlicher Ohnmacht, weshalb sie dringend auf den Beistand des Beigeladenen zu 2. angewiesen sei. Die benötigte pharmakologische und psychologische Behandlung sei vor Ort nicht zu erhalten.

6 Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Die Klägerin sei gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG an der Auswahlentscheidung gemäß § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu beteiligen. Dieser Beteiligung stehe der Ausschlussgrund des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG nicht entgegen. Aufgrund der Trennungszeit von drei Jahren und der seitens des Beigeladenen zu 2. zwischenzeitlich erbrachten Integrationsleistungen sei ein atypischer Fall anzunehmen. Ein weiteres Warten auf die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft sei den Eheleuten nicht zuzumuten. Sofern die eheliche Lebensgemeinschaft nicht in einem Drittstaat hergestellt werden könne, sei eine mehr als drei Jahre währende Trennung unzumutbar, wenn der im Bundesgebiet lebende subsidiär schutzberechtigte Ehegatte den Lebensunterhalt der Familie sichere und ausreichenden Wohnraum vorhalte. Die Lebensunterhaltssicherung und das Vorhandensein von Wohnraum seien Aspekte der Integration des subsidiär Schutzberechtigten, die in Ansehung des Regelungszwecks von § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG zugunsten des einreisewilligen Ehegatten und der Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem subsidiär Schutzberechtigten zu berücksichtigen seien. Zwar beschränkten sich die Aufnahme- und Integrationssysteme von Staat und Gesellschaft, die durch § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG geschont werden sollten, nicht auf die Versorgung mit Wohnraum und das Aufkommen für den Lebensunterhalt. Durch den Zuzug vieler Schutzsuchender und ihrer Familienangehörigen würden etwa auch Verwaltungsstrukturen, insbesondere die Ausländerbehörden, die Bildungs- und Gesundheitssysteme sowie gesellschaftliche, beispielsweise ehrenamtliche, Strukturen belastet. Dennoch erscheine das öffentliche Interesse daran, dass ein Ehegattennachzug zunächst unterbleibe, als weniger gewichtig, wenn im Zeitpunkt des Nachzugs der Lebensunterhalt gesichert und ausreichender Wohnraum vorhanden seien. Abgesehen davon habe der Beigeladene zu 2. durch den Abschluss des Integrationskurses und des Sprachkurses mit dem Niveau B1 weitere Integrationsleistungen erbracht.

7 Zur Begründung ihrer Sprungrevision führt die Beklagte im Wesentlichen aus, der Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, eine räumliche Trennung des im Bundesgebiet lebenden subsidiär Schutzberechtigten und seines Ehegatten von mehr als drei Jahren sei unzumutbar, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft nicht in einem Drittstaat hergestellt werden könne und der Schutzberechtigte den Lebensunterhalt der Familie sichere und ausreichenden Wohnraum vorhalte, verstoße gegen § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG. Der Regelausschlussgrund sei der Schonung der deutschen Aufnahme- und Integrationssysteme zu dienen bestimmt. Würden die vorstehenden Voraussetzungen bereits kurz nach der Einreise in das Bundesgebiet erfüllt, so liefe § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG faktisch jedenfalls partiell leer. Bei einer nach einigen Jahren typischerweise bestehenden Sicherstellung von Lebensunterhalt und Wohnraum wäre von dem Regelausschlussgrund regelmäßig abzusehen. Eine solche typische Situation vermöge besondere Umstände des Einzelfalles im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und damit eine Verkürzung der Trennungszeit nicht zu begründen. Derartige Umstände müssten im Lichte von Art. 6 GG einen Familienbezug aufweisen. Hieran fehle es bei der Sicherung des Lebensunterhalts und dem Vorhalten von Wohnraum.

8 Die Klägerin verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts.

II

9 Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung.

10 1. Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann dem Ehegatten eines Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG besitzt, aus humanitären Gründen ein nationales Visum zum Familiennachzug erteilt werden. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Sache nach das Begehren der Klägerin, die Beklagte unter Aufhebung des angegriffenen Bescheides zu verpflichten, über die Erteilung eines Visums nach § 6 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nach pflichtgemäßem Ermessen neu zu entscheiden. In diesem Sinne hat die Klägerin in der Revisionsverhandlung ihr zuvor auf die Verpflichtung, sie an der Auswahlentscheidung nach § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu beteiligen, gerichtetes Begehren sachgerecht konkretisiert. Die Konkretisierung trägt dem Umstand Rechnung, dass Gegenstand der Auswahlentscheidung nur eine (Zwischen-)Entscheidung über das "Wann", nicht jedoch zwangsläufig auch eine solche über das "Ob" der Visumerteilung ist. Diese letztere Entscheidung trifft allein die Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland, die nach der verwaltungsinternen Mitwirkung des Bundesverwaltungsamts abschließend über das Vorliegen der bereits zuvor unter Beteiligung der Ausländerbehörde vorgeprüften Voraussetzungen entscheidet.

11 2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat eine Ausnahme von der Regel, dass ein Ehegattennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten bei einer nicht vor der Flucht geschlossenen Ehe ausgeschlossen ist, mit einer Begründung angenommen, die mit § 36a AufenthG nicht vereinbar ist (2.1). Ob der Klägerin auf der Grundlage von § 6 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AufenthG ein Visum zum Zweck des Familiennachzugs zu ihrem subsidiär schutzberechtigten Ehemann erteilt werden kann, vermag das Bundesverwaltungsgericht in Ermangelung hinreichender tatsächlicher Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht selbst zu entscheiden (2.2). Gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO ist das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (2.3).

12 Maßgeblich für die Beurteilung des Begehrens der Klägerin ist in tatsächlicher Hinsicht der Zeitpunkt der am 28. August 2023 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht; in rechtlicher Hinsicht ist auf die aktuelle Rechtslage abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 10).

13 2.1 Die Gründe, die das Verwaltungsgericht bewogen hat, die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin an der Auswahlentscheidung gemäß § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu beteiligen, stehen mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht im Einklang.

14 Zwar geht das Verwaltungsgericht mit Recht davon aus, dass die Klägerin die besonderen und allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der Anspruchsgrundlage erfüllt (2.1.1). Es hat jedoch das Nichteingreifen des Regelausschlussgrundes, nach dem der Nachzug bei einer erst nach Verlassen des Herkunftslandes geschlossenen Ehe regelmäßig zu versagen ist, mit einer unzutreffenden Begründung bejaht (2.1.2).

15 2.1.1 Die Klägerin erfüllte die besonderen (a) und allgemeinen (b) Erteilungsvoraussetzungen der Anspruchsgrundlage.

16 a) Im Einklang mit Bundesrecht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AufenthG vorliegen. Insbesondere ist von dem Bestehen eines humanitären Grundes im Sinne von § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszugehen.

17 aa) Die Norm führt den Begriff "humanitäre Gründe" einer näheren Bestimmung nicht zu. Die in den Ziffern 1. bis 4. aufgeführten Sachverhalte umschreiben das Merkmal nur beispielhaft und nicht abschließend (BT-Drs. 19/2438 S. 22). Humanitäre Gründe können in der Person sowohl des subsidiär Schutzberechtigten als auch seiner Familienangehörigen vorliegen. Erforderlich ist eine umfassende Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalles.

18 bb) Nach § 36a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG liegen humanitäre Gründe im Sinne dieser Vorschrift insbesondere vor, wenn die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit nicht möglich ist.

19 Die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft ist unmöglich, wenn eine Familienzusammenführung in einem Drittstaat objektiv unmöglich oder dem subsidiär Schutzberechtigten oder den Familienangehörigen subjektiv unzumutbar ist (BT-Drs. 19/2438 S. 22).

20 Die Auslegung des Merkmals "seit langer Zeit" hat sich an den Schutzgeboten von Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK zu orientieren, weshalb es nicht für sämtliche den Familiennachzug betreibenden Angehörigen des subsidiär Schutzberechtigten einheitlich bestimmt werden kann. Im Lichte des Zwecks des § 36a AufenthG, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten im Einklang mit den stark belasteten Integrationskapazitäten der Aufnahmegesellschaft auszugestalten (BT-Drs. 19/2438 S. 15), ist das Merkmal in Bezug auf Ehegatten vorbehaltlich einzelfallbezogener Besonderheiten als erfüllt anzusehen, wenn jene im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt für einen Zeitraum von zwei Jahren oder länger räumlich getrennt leben. Der Binnensystematik des § 36a AufenthG ist zu entnehmen, dass der Begriff "lange Zeit" das Maß der Trennungszeit geringer als die im Rahmen von § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG zu wahrenden verfassungsrechtlichen Höchstfristen ansetzt (vgl. zu diesen Fristen BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 36 und vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - Buchholz 402.242 § 36a AufenthG Nr. 2 Rn. 32 und - 1 C 50.20 - juris Rn. 30). Außensystematisch steht dieser Zeitrahmen im Einklang mit Art. 8 Abs. 1 der auf die Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten nicht anzuwendenden Richtlinie 2003/86/EG. Danach dürfen die Mitgliedstaaten verlangen, dass sich der Zusammenführende während eines Zeitraums, der zwei Jahre nicht überschreiten darf, rechtmäßig auf ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten hat, bevor seine Familienangehörigen ihm nachreisen (vgl. auch EGMR <GK>, Urteil vom 9. Juli 2021 - Nr. 6697/18, M. A./Dänemark - Rn. 153 ff.). Wenngleich die Mitgliedstaaten nicht gehindert sind, Wartefristen von mehr als zwei Jahren vorzusehen, solange diese Fristen es gestatten, im Einzelfall den spezifischen Anforderungen von Art. 8 EMRK Rechnung zu tragen, ist die rechtliche Vorgabe einer Wartefrist von zwei Jahren jedenfalls unions- und verfassungsrechtskonform (vgl. zum Ganzen auch EGMR <GK>, Urteil vom 9. Juli 2021 - Nr. 6697/18 - Rn. 179; BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 - BVerfGE 76, 1 <69 f.> und Kammerbeschluss vom 20. März 2018 - 2 BvR 1266/17 - juris Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 - 1 C 8.09 - BVerwGE 136, 231 Rn. 49). Zeitlicher Ausgangspunkt für die Bestimmung der Erheblichkeit der Dauer der Trennung der Familienangehörigen ist in aller Regel das Asylersuchen des im Bundesgebiet subsidiär Schutzberechtigten, da erst dieses eine Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland für den Antragsteller und dessen Familie begründet (vgl. BT-Drs. 19/2438 S. 22).

21 Dem Beigeladenen zu 2. ist die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Syrien im Hinblick auf seine subsidiäre Schutzberechtigung unzumutbar. Die Regelfrist von zwei Jahren für die Annahme einer "langen Zeit" im Sinne des § 36a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist in Bezug auf die Klägerin und den Beigeladenen zu 2. erfüllt. Beide lebten, ausgehend von dem am 3. Dezember 2020 gestellten Asylersuchen des Beigeladenen zu 2., am 28. August 2023 seit knapp 33 Monaten räumlich getrennt.

22 cc) Im Lichte der vorstehenden Erwägungen kann dahinstehen, ob die Klägerin zu diesem Zeitpunkt im Sinne von § 36a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 AufenthG schwerwiegend erkrankt war.

23 b) Das Verwaltungsgericht hat auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen ohne Verstoß gegen Bundesrecht als erfüllt angesehen.

24 aa) Der begehrte Ehegattennachzug setzt hier nicht voraus, dass der Beigeladene zu 2. im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ausreichenden Wohnraum für die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau vorhielt und deren Lebensunterhalt sichergestellt war.

25 Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG muss für den Familiennachzug zu einem Ausländer ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehen. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels zudem in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Die Anwendung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist nicht generell spezialgesetzlich, insbesondere nicht durch § 36a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG, ausgeschlossen. Jedoch kann gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bei dem Ehegatten eines Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG besitzt, von den Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen werden. Nach § 29 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist in den Fällen des § 29 Abs. 2 Satz 1 AufenthG von diesen Voraussetzungen abzusehen, wenn 1. der im Zuge des Familiennachzugs erforderliche Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels innerhalb von drei Monaten nach unanfechtbarer Zuerkennung subsidiären Schutzes gestellt wird und 2. die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in einem Staat, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und zu dem der Ausländer oder seine Familienangehörigen eine besondere Bindung haben, nicht möglich ist. Gemäß § 36a Abs. 5 AufenthG findet § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG keine Anwendung. Wegen des Ausschlusses des § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG bedarf es im Rahmen von Anträgen auf Gewährung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten einer Zurverfügungstellung ausreichenden Wohnraums und der Sicherung des Lebensunterhalts daher auch dann nicht, wenn diese Anträge nach Ablauf der Drei-Monatsfrist gestellt werden. Voraussetzung für einen solchen Dispens ist indes nach § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AufenthG, dass die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft nicht ausnahmsweise in einem Staat möglich ist, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und zu dem der Ausländer oder seine Familienangehörigen eine besondere Bindung haben.

26 Dies ist hier nicht der Fall. Als ein solcher Staat käme allein die Libanesische Republik in Betracht. Hierzu hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf den Bericht des Auswärtigen Amts vom 5. Dezember 2022 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon festgestellt, es sei nicht erkennbar, dass die Eheleute dort einen legalen Aufenthalt begründen könnten. An diese tatrichterlichen Feststellungen ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.

27 bb) Die Klägerin war am 28. August 2023 auch im Besitz eines bis zum 25. April 2024 gültigen Nationalpasses und erfüllte damit die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG.

28 2.1.2 Der Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, eine räumliche Trennung des im Bundesgebiet lebenden subsidiär Schutzberechtigten und seines Ehegatten für die Dauer von mehr als drei Jahren sei unzumutbar, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft nicht in einem Drittstaat hergestellt werden könne und der Schutzberechtigte den Lebensunterhalt der Familie sichere und für die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausreichenden Wohnraum vorhalte, verstößt gegen § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG und damit gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das angefochtene Urteil beruht auch auf diesem Verstoß.

29 Gemäß § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AufenthG in der Regel (b) ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde (a).

30 a) Ohne Verstoß gegen § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Ehe der Klägerin und des Beigeladenen zu 2. nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurde, da sie erst nach Verlassen des Herkunftslandes eingegangen worden ist (vgl. zu diesem Merkmal BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 14 bis 19). Die Differenzierung zwischen vor und nach der Flucht geschlossenen Ehen steht mit höherrangigem Recht im Einklang (BVerwG, Urteile vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - Buchholz 402.242 § 36a AufenthG Nr. 2 Rn. 15 bis 29 und - 1 C 50.20 - juris Rn. 14 bis 27; zuvor bereits BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 20 bis 32).

31 Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der mehrwöchige Aufenthalt der Klägerin und des Beigeladenen zu 2. in Syrien dazu diente, dort im Kreise ihrer Familien die Ehe einzugehen, und daher nicht als Abbruch der Flucht und endgültige Rückkehr nach Syrien gewertet werden könne. An diese tatsächlichen Feststellungen ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.

32 b) Mit § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG nicht im Einklang steht demgegenüber der Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, eine Ausnahme von dem Regelausschlussgrund sei für den Fall, dass die Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des nachzugswilligen Ehegatten auf absehbare Zeit ausscheide, anzunehmen, wenn die Ehegatten seit mehr als drei Jahren räumlich voneinander getrennt lebten, der im Bundesgebiet lebende subsidiär schutzberechtigte Ehegatte den Lebensunterhalt der Familie sichere und ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehe und die eheliche Lebensgemeinschaft auch nicht in einem Drittstaat hergestellt werden könne.

33 aa) Eine Ausnahme von dem Regelausschluss nach § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ist mit Blick auf völker-, unions- oder verfassungsrechtliche Gewährleistungen, insbesondere Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 und Art. 18 Abs. 1 Satz 1 KRK sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG, oder im Hinblick auf eine tatsächliche einzelfallbezogene Atypik in Betracht zu nehmen. Der besondere Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gebietet es, das Interesse der Angehörigen der Kernfamilie des subsidiär Schutzberechtigten an der (Wieder-)Herstellung ihrer familiären Lebensgemeinschaft bereits bei der Prüfung einer Ausnahme von dem Regelausschlussgrund des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG und damit schon im Vorfeld unmittelbar aus der Verfassung ableitbarer Nachzugsansprüche zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - Buchholz 402.242 § 36a AufenthG Nr. 2 Rn. 30 f.). Wegen des dem gesetzlichen Regelausschluss in § 36a Abs. 3 AufenthG seitens des Gesetzgebers beigemessenen hohen Gewichts müssen die für eine Ausnahme in Betracht zu nehmenden Umstände spezifisch ehe- und familienbezogen und so bedeutsam sein, dass sie bei einer wertenden Gesamtschau einen Ausschluss des Antragstellers von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach Art oder Reichweite nicht (mehr) rechtfertigen (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - Buchholz 402.242 § 36a AufenthG Nr. 2 LS und Rn. 31). Ist den Ehegatten eine (Wieder-)Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des Nachzugswilligen möglich und zumutbar, so übersteigen Wartezeiten von fünf Jahren bis zu einem Nachzug in das Bundesgebiet vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles noch nicht das verfassungsrechtlich hinzunehmende Höchstmaß. Scheidet die Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des nachzugswilligen Ehegatten demgegenüber auf unabsehbare Zeit aus, so gewinnen die humanitären Belange an der Wiederherstellung der Familieneinheit gerade im Bundesgebiet erhebliches Gewicht. Dies gilt jedenfalls in Fällen, in denen nicht aus den Umständen, etwa der für sich allein nicht ausschlaggebenden Ehebestandsdauer, zu folgern ist, dass eine Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen worden ist, etwaige Nachzugsmöglichkeiten zu eröffnen. Fehlt es an solchen besonderen Umständen des Einzelfalles, verringern sich mit zunehmender Trennungsdauer auch die Unterschiede zu den vor der Flucht geschlossenen Ehen und wächst das Gewicht der grundrechtlich geschützten Belange an einer - dann objektiv nur im Bundesgebiet möglichen - Familienzusammenführung. Jedenfalls bei Eheschließung vor der Einreise in das Unionsgebiet liegt ohne Hinzutreten besonderer, eine Verkürzung oder Verlängerung der Trennungszeiten bewirkender Umstände dann eine Ausnahme von dem Regelausschluss des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG regelmäßig bereits bei einer mehr als vierjährigen Trennung von dem Ehegatten vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 - 1 C 45.20 - Buchholz 402.242 § 36a AufenthG Nr. 2 Rn. 32).

34 Für den Beginn der Trennungszeit ist auch im Rahmen von § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG wiederum auf den Zeitpunkt der Stellung des Asylersuchens des subsidiär Schutzberechtigten abzustellen (vgl. BT-Drs. 19/2438 S. 22). Ihre Dauer ist in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz oder - in Ermangelung einer solchen - im Zeitpunkt der letzten Entscheidung des Tatsachengerichts zu beurteilen.

35 bb) Zu solchen besonderen Umständen des Einzelfalles, die es rechtfertigen, die von den Eheleuten nach § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG hinzunehmende Trennungszeit zu verkürzen, zählen die Lebensunterhaltssicherung und das Vorhalten von Wohnraum durch den subsidiär Schutzberechtigten nicht.

36 Gegen eine Berücksichtigung dieser Integrationsleistungen streitet bereits die Binnensystematik des § 36a AufenthG. § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG begrenzt die Höchstanzahl der monatlich erteilbaren Visa auf 1 000. Die Auswahl derjenigen Personen, die die besonderen und allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllen und nicht dem Regelausschluss des § 36a Abs. 3 AufenthG unterfallen, ist der Entscheidung des Bundesverwaltungsamtes vorbehalten. Dieses hat bei seiner Auswahl nicht allein das Gewicht der jeweiligen humanitären Gründe und gemäß § 36a Abs. 2 Satz 3 AufenthG das Kindeswohl, sondern nach § 36a Abs. 2 Satz 4 AufenthG auch individuelle Integrationsaspekte zu berücksichtigen. Derartige Integrationsaspekte sind indes — kumulativ — nur bei Vorliegen humanitärer Gründe im Sinne des § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG und nur bei Nichtvorliegen eines Regelausschlussgrundes nach § 36a Abs. 3 AufenthG einzustellen. Der Begriff "Integrationsaspekte" ist nicht näher eingegrenzt. Es kann sich daher um solche des nachziehenden Familienangehörigen, wie etwa Kenntnisse der deutschen Sprache oder anderweitige Umstände, die erwarten lassen, dass sich dieser in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen wird, oder auch um Integrationsaspekte des subsidiär Schutzberechtigten handeln. Zu Letzteren zählen einerseits die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts und das Vorhalten von Wohnraum auch für den nachziehenden Familienangehörigen, aber auch etwa die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die Absolvierung einer Berufsausbildung, besondere Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache oder gesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement. Andererseits sind auch Umstände zu berücksichtigen, die einer Einfügensprognose zuwiderlaufen können, so insbesondere Tatsachen, die geeignet sind, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begründen, wie etwa Straftaten unterhalb der in § 36a Abs. 3 Nr. 2 AufenthG genannten Schwelle. Derartige Integrationsaspekte sind im Rahmen der nach § 36a Abs. 2 Satz 4 AufenthG zu treffenden Auswahlentscheidung, nicht jedoch auch bereits bei der vorgelagerten Feststellung des Nichtvorliegens eines Regelausschlusstatbestands nach § 36a Abs. 3 AufenthG zu würdigen.

37 In teleologischer Hinsicht dient die Einstellung von Aspekten der Integration des Schutzberechtigten dazu, zu belegen, dass sich dieser erfolgreich um seine Integration in Deutschland bemüht, was die Erwartung begründet, dass eine solche auch dem nachzugswilligen Familienangehörigen gelingen und deshalb die Aufnahmefähigkeit Deutschlands durch den Nachzug dieses Angehörigen nicht überlastet werden wird. Dieser zentralen Zielsetzung der Verhinderung einer Überforderung der Aufnahme- und Integrationssysteme von Staat und Gesellschaft durch den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten trägt § 36a AufenthG indes nicht allein im Rahmen von § 36a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, sondern auf verschiedenen Ebenen Rechnung. So beschränkt § 36a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 AufenthG den Nachzug auf Situationen, in denen humanitäre Gründe die Herstellung der familiären Gemeinschaft bedingen. § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG nimmt eine zeitliche Staffelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten vor. § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG stellt die Titelerteilung in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Behörde. Den Regelausschlussgründen des § 36a Abs. 3 AufenthG ist in diesem Kontext die Funktion zugewiesen, einen Familiennachzug, der aus überwiegenden schutzwürdigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland (BT-Drs. 19/2438 S. 24) als in der von dem Gesetzgeber vorgefundenen Situation nicht angezeigt erscheint, regelhaft auszuschließen und die Feststellung einer Ausnahme von dieser Regel auf solche Sachverhalte zu beschränken, die die einem Nachzug grundsätzlich widerstreitenden schutzwürdigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, sei es im Lichte höherrangigen Rechts, sei es infolge ihrer Atypik, im konkreten Einzelfall zurücktreten lassen. Diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen von § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung des besonderen Schutzes von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG und Art. 8 EMRK in der Weise Rechnung getragen, dass es danach differenziert, ob den Eheleuten oder der Familie zum einen eine Fortdauer der räumlichen Trennung zumutbar und zum anderen eine Wiederaufnahme der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des den Nachzug begehrenden Ehegatten möglich und zumutbar ist, und dass es bei der Bemessung der zumutbaren Trennungsdauer der Ehegatten dem Wohl eines gemeinsamen Kleinkindes besonderes Gewicht beimisst. Unter Abwägung der gewichtigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland einerseits und der familiären Belange des subsidiär Schutzberechtigten und seines Ehegatten andererseits hat es entschieden, dass für den Fall, dass den Ehegatten eine (Wieder-)‌Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des Nachzugswilligen möglich und zumutbar ist, Wartezeiten von fünf Jahren das verfassungsrechtlich hinzunehmende Höchstmaß noch nicht übersteigen und dass für den Fall, dass die (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat des nachzugswilligen Ehegatten auf unabsehbare Zeit ausscheidet, jedenfalls bei Eheschließung vor der Einreise in das Unionsgebiet regelmäßig eine Ausnahme bereits bei einer mehr als vier Jahre andauernden Trennung von dem Ehegatten anzunehmen ist (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 36). Die Dauer dieser von den Eheleuten regelmäßig hinzunehmenden Trennungszeiten steht unter dem Vorbehalt besonderer Umstände des Einzelfalles. Wegen des hohen Gewichts der einem Familiennachzug widerstreitenden Interessen der Bundesrepublik Deutschland müssen derartige Umstände des Einzelfalles spezifisch ehe- oder familienbezogen und von einem Gewicht oder einer Atypik sein, welche den Regelausschluss schon vor Ablauf der den Eheleuten zuzumutenden Trennungszeit zurücktreten lassen.

38 Die Sicherstellung des Lebensunterhalts und das Vorhalten ausreichenden Wohnraums für die Bedarfsgemeinschaft durch den subsidiär Schutzberechtigten weisen weder den erforderlichen Ehe- oder Familienbezug noch ein derartiges Gewicht oder eine derartige Atypik auf. Allein dadurch, dass das Gesetz im Falle des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten von der Erfüllung dieser Erteilungsvoraussetzungen unter der Voraussetzung des § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AufenthG absieht, werden diese nicht zu besonderen Umständen des Einzelfalles, die zu einer Korrektur des Interessenausgleichs Veranlassung geben könnten. Eine Berücksichtigung der Sicherung des Lebensunterhalts und des Vorhaltens ausreichenden Wohnraums für die Bedarfsgemeinschaft durch den subsidiär Schutzberechtigten oder anderer vergleichbarer migrationstypischer Sachverhalte bereits bei der Prüfung einer Ausnahme von dem Regelausschluss nach § 36a Abs. 3 AufenthG würde dem Anliegen des Gesetzgebers, bestimmte Personen- und Personengruppen von einem Nachzug regelhaft auszuschließen, nicht gerecht.

39 Die historisch-genetische Auslegung bestätigt dieses Normverständnis. Zwar verhält sich die Begründung des Entwurfs zu § 36a Abs. 3 AufenthG zu den Anforderungen an die Annahme einer Ausnahme von dem Regelausschlussgrund des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG nicht. Jedoch stand dem Gesetzgeber klar vor Augen, wie sehr die Aufnahme- und Integrationssysteme der Bundesrepublik Deutschland durch die hohe Anzahl an Asylantragstellern belastet würden und welche erheblichen Herausforderungen mit deren Aufnahme und Integration auch bis auf Weiteres verbunden seien (vgl. nur BT-Drs. 19/2438 S. 1 f. und 15). Im Lichte dessen wurde die Begrenzung des Nachzugs von Angehörigen der Kernfamilie zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG ihrer Konzeption zufolge bewusst so bemessen, dass Integration gelingen kann und die Aufnahmesysteme der staatlichen Institutionen die Aufnahme und Integration bewältigen können (BT-Drs. 19/2438 S. 3 und 21). Bei seiner Entscheidung hat der Gesetzgeber den Schutz von Ehe und Familie auf der einen Seite und die Integrations- und Aufnahmefähigkeit des Staates und der Gesellschaft und das daraus folgende legitime Interesse an einem gesteuerten und geordneten Zuzug von Ausländern auf der anderen Seite zu einem angemessenen Ausgleich gebracht (BT-Drs. 19/2438 S. 22; vgl. auch BT-PlProt. 19/36 S. 3344 B).

40 2.2 Ob sich das Urteil des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 144 Abs. 4 VwGO dennoch im Ergebnis als richtig darstellt, weil eine erhebliche Erkrankung der nachzugswilligen Klägerin, gegebenenfalls in Verbindung mit den Lebensumständen in einem Lager für Erdbebenopfer, im konkreten Einzelfall einen besonderen Umstand im vorstehenden Sinne begründet, entzieht sich einer abschließenden revisionsgerichtlichen Klärung.

41 Tatsächliche Feststellungen dazu, ob die Klägerin wegen verschiedener von ihr geltend gemachter Erkrankungen, die nach ihren Angaben vor Ort nicht behandelbar sind, dringend auf den Beistand des Beigeladenen zu 2. angewiesen ist und dieser Umstand den unter 2.1.2 b) bb) dargestellten Vorgaben genügt, hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen.

42 2.3 Zur Nachholung dieser Feststellungen ist das angegriffene Urteil gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

43 Das Verwaltungsgericht wird, solange die räumliche Trennung der Klägerin und des Beigeladenen zu 2. die Grenze von vier Jahren noch nicht erreicht hat, im Rahmen seiner Aufklärung zu berücksichtigen haben, dass zu spezifisch ehe- und familienbezogenen Gesichtspunkten, die die Annahme besonderer Umstände des Einzelfalles und damit eine Zusammenführung der Ehegatten vor Ablauf der grundsätzlich noch als zumutbar zu erachtenden Trennungszeit, hier von vier Jahren, zu rechtfertigen vermögen, auch solche schwerwiegenden Erkrankungen des Ausländers oder seines Ehegatten zählen können, die ein Angewiesensein des Erkrankten gerade auf den Beistand des anderen Ehegatten begründen. Die Annahme besonderer Umstände des Einzelfalles und damit eine Zusammenführung der Ehegatten vor Ablauf der grundsätzlich noch als zumutbar zu erachtenden Trennungszeit wird indes nur veranlasst sein, wenn die Folgen der schwerwiegenden Erkrankung so ungewöhnlich und groß sind, dass im Hinblick auf den Zweck der Nachzugsvorschriften, die Herstellung und Wahrung der Familieneinheit zu schützen, die Verweisung auf die an sich zumutbare Trennungszeit schlechthin unvertretbar ist. Dies wird nur der Fall sein, wenn entweder der im Bundesgebiet lebende subsidiär Schutzberechtigte oder sein im Ausland lebender Ehegatte allein ein eigenständiges Leben nicht führen kann und auf die Gewährung von familiärer Lebenshilfe gerade durch den Ehegatten und gerade im Bundesgebiet angewiesen ist. Die Erkrankung und das Angewiesensein auf den Beistand des Ehegatten sind durch eine Bescheinigung nachzuweisen, die den sich in § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG widerspiegelnden Anforderungen der Rechtsprechung an die Aussagekraft einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung genügt.